Inklusion!

„Nicht alle Kinder lernen das Gleiche zur gleichen Zeit auf die gleiche Weise!“ (Kathy Walkes)

Andrea B. sitzt auf einer Bank auf dem Spielplatz und beobachtet ihre nun fast 2 jährige Tochter Swea. Diese krabbelt über den Sand zum Kletterhäuschen. Dort angekommen zieht sie sich an einem Balken hoch und versucht mit unsicheren Schritten an den Holzbalken entlang zu laufen um an die Rampe zu gelangen, die auf das Häuschen führt. Plötzlich kommt Leon, ein gleichaltriger Junge der in Sweas Kindergartengruppe geht, angerannt um sie freudig zu begrüßen. Bei der stürmischen Begrüßung verliert Swea das Gleichgewicht und fällt hin. Leon ist schnell auf das Häuschen zu zwei anderen Kindern geklettert. Swea weint nicht, sie setzt sich in eine aufrechte Position und schaut den anderen Kindern neugierig beim Spielen zu.  

Andrea B. hat bei solchen Situationen jedes Mal ein  komisches Gefühl im Bauch. Sie macht sich Gedanken darüber, ob mit Swea alles in Ordnung ist. Swea ist auch in der Kinderturnstunde das einzige Kind, das noch nicht frei laufen kann. Mit anderen Müttern spricht Andrea B. nicht gerne über ihre Sorgen, diese berichten immer wieder wie toll ihre Kinder Fortschritte im Laufen und Klettern machen. Sie wird  mit großen Augen angeschaut wenn sie erzählt, dass ihre Tochter noch keine freien Schritte gemacht hat.

So wie  Andrea B. geht es vielen Müttern und Vätern, denn die Entwicklung der Kinder läuft sehr unterschiedlich ab. Oft verursachen Vergleiche mit gleichaltrigen Kindern aus dem Freundeskreis oder mit den Geschwisterkindern zusätzlichen Stress, wenn die Eltern das Gefühl haben ihr Kind ist in manchen Dingen noch nicht soweit.

In der Entwicklungspsychologie findet man den Begriff Entwicklungszeitfenster. Dieser deutet daraufhin, dass Entwicklungsschritte in einer gewissen Zeitspanne stattfinden, in denen die Kinder eine besondere Bereitschaft haben etwas Bestimmtes wie Sprechen, Laufen, Trockenwerden etc. zu lernen. Das wiederum hat mit der Reifung des Gehirns, den Anregungen aus dem Umfeld und der Motivation des Kindes zu tun. Das Entwicklungszeitfenster für das Laufen lernen Beginnt um den 12. Lebensmonat. Aber da es keinen festen Zeitpunkt für das Laufen lernen gibt, kann dies auch schon vorher oder erst einige Monate später geschehen. Die allermeisten Kinder haben bis zum 20. Lebensmonat das freie Laufen gelernt. Fällt die Entwicklung eindeutig aus dem Zeitrahmen heraus, spricht man von einer Entwicklungsverzögerung. Diese Verzögerung kann sich auf folgende Bereiche erstecken:

Motorik (Bewegung), Sprache, geistige Entwicklung, emotionale Entwicklung, soziale Entwicklung

Häufig sind die Kinder in den einzelnen Bereichen unterschiedlich weit entwickelt. Während das eine Kind ein besonderes Interesse für die Sprache zeigt und schon schnell erste Worte und Sätze spricht, aber sich im Laufen lernen sehr viel Zeit lässt, ist es bei einem anderen Kind womöglich genau umgekehrt. Jedes Kind folgt seinem eigenen Tempo und auch Entwicklungsverzögerungen können durch gezielte Förderung gut aufgeholt werden.

Sind Entwicklungsverzögerungen in zumeist mehreren Bereichen besonders stark ausgeprägt und wenig Fortschritte zu beobachten, kann auch eine Entwicklungsstörung oder Behinderung die Ursache sein. Diese Vorstellung löst bei Eltern häufig große Ängste, Gefühle von Trauer und ein Gefühl der Überforderung aus. Der Prozess der Diagnose kann einige Zeit in Anspruch nehmen und sehr anstrengend sein. Dennoch ist es wichtig diesen Weg zu gehen um dem Kind schnellst möglich eine passende Förderung zukommen zu lassen. Wird das Kind im jeweiligen Entwicklungszeitfenster gefördert, sind gute Fortschritte besonders wahrscheinlich. Zudem kann eine Diagnose auch Erleichterung bringen. Zum Beispiel können schwierige Verhaltensweisen des Kindes besser verstanden werden, die Familie erhält Unterstützung und das Kind erzielt in der Förderung erste Fortschritte. Unsicherheiten sind ganz normal und können in einem guten Zusammenspiel zwischen den Eltern, dem Kinderarzt/ der Förderung und dem Kindergarten reduziert werden.

Wie viele andere Länder hat Deutschland 2009  das verpflichtende Ziel unterschrieben, die Inklusion in Bildungseinrichtungen, z.B. im Kindergarten, weiter voran zu bringen (siehe UN Konvention). Inklusion bedeutet, dass allen Kindern die gleiche Möglichkeit gegeben wird, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale zu entwickeln. Dies gilt unabhängig von der kulturellen und sozialen Herkunft, vom Geschlecht oder den besonderen Lernbedürfnissen die ein Kind mitbringt. Wenn ein Kind z.B. durch eine Entwicklungsverzögerung oder Behinderung daran gehindert ist an Bildung teilzuhaben, steht ihm eine angemessene Unterstützung/ Förderung zu, um die Teilhabe zu verbessern. In der Kindergartenzeit ist das Spiel ein wichtiger Bereich der Bildung. Da die kleine Swea in unserem Beispiel noch nicht laufen und klettern kann, ist sie daran gehindert am Kinderspiel auf dem Häuschen teilzuhaben. In ihrem Fall könnte eine physiotherapeutische Behandlung womöglich sehr hilfreich sein um nicht nur ihre Motorik zu fördern, sondern auch die Teilhabe am Kinderspiel.    

Wann immer Sie als Eltern ein ähnlich schlechtes Bauchgefühl wie Frau B. haben, Sie sich womöglich um die Entwicklung ihres Kindes sorgen oder einfach nur Fragen stellen möchten, ist der Kindergarten eine gute Anlaufstelle. Häufig lösen sich kleinere Stolpersteine von ganz alleine. Sollte dies nicht der Fall sein, gibt es unterschiedliche Hilfsangebote. Die Fördermöglichkeiten sind heutzutage sehr vielseitig, spielerisch und auf das jeweilige Kind genau abgestimmt. Die gemeinsame Suche nach einer Lösung kann die Familie in schwierigen Situationen sehr entlasten.

 
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